Auszeichnung: 2005 – Kreuzberg
Laudatio
»Jetzt langt es mal mit den Ehrungen!« Mit diesem Stoßseufzer kommentierte der neue oberfränkische Gewürfelte vor etwas mehr als einem Jahr die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes und brachte damit doch nur in typisch fränkischer Bescheidenheit Stolz und Freude über die Anerkennung seiner unbestrittenen Verdienste zum Ausdruck.
Er ist keiner, der die großen Bühnen sucht; keiner, der die Stadien und neuerdings Arenen zwischen Spessart und Karwendel füllen will; keiner, der den spektakulären Auftritt in der Fernsehshow oder das Titelbild im Nachrichtenblatt begehrt. Er ist – wie die Altenkunstadter liebevoll neckisch genannt werden – ein eingefleischter »Altenkuuschde Hefenkloß«, auch wenn er jetzt in Schönbrunn bei Bad Staffelstein wohnt.
Am wohlsten fühlt er sich beim Wirtshaussingen in Maineck oder in Baiersdorf und unter dem alten Nussbaum in seinem Bauerngarten, wo er Zeit zum Nachdenken und zur Entfaltung seines kreativen Potenzials findet.
Nein, lieber Herr Motschmann, den Wunsch, mit den Ehrungen jetzt schon Schluss zu machen, mag ich Ihnen nicht erfüllen. Die Würfel sind gefallen: nach 20 Jahren rollt der Frankenwürfel erstmals in den Landkreis Lichtenfels und landet dort bei einem Vertreter des Fränkischen, der Wendigkeit, Witz und Widerspruch in einer ihm ganz eigenen Art verkörpert.
Der Forscherdrang wurde dem »Bub aus der Kaffeegass«, wie sich Josef Motschmann selbst bezeichnet, gleichsam schon in die Wiege gelegt. Der Standort seines Elternhauses sollte in vielerlei Hinsicht richtungsweisend für sein späteres Leben werden. Er wurde 1952 als Sohn katholischer Eltern in einer Straße in Altenkunstadt geboren, die einst fast ausschließlich von Juden bewohnt war. Die Großeltern erzählten von den früheren Nachbarn, aber die Bewohner der umliegenden Häuser wechselten bei Gesprächen über Vergangenes ganz schnell das Thema. Jüdisches war ein Tabu-Thema, und das Schweigen auf seine Fragen nach dem Verbleib der Juden ließ ihn schon als Kind hellhörig werden.
Als interessierter junger Erwachsener entschloss er sich schließlich, die Geschichte der Juden in Altenkunstadt und den umliegenden Gemeinden zu erforschen. Josef Motschmann begann, seine detaillierten wissenschaftlichen Studien über die Juden im Oberen Maintal zu veröffentlichen und hat dazu mittlerweile mehrere Bücher herausgegeben. Er hält Vorträge, leitet Exkursionen mit Schulklassen und anderen Gruppen und führt durch die alte Synagoge in Altenkunstadt, die 1993 auch und vor allem dank seines Engagements zu einem Kulturzentrum mit Ausstellungen und Konzerten wurde.
Er hat dem Vergessen den Kampf angesagt, versucht Spuren zu erhalten, bevor sie unwiderruflich verwischen. Mit Josef Motschmann in die Vergangenheit zu reisen, kann schmerzhaft sein. Wie anderswo ist auch das letzte Kapitel jüdischen Lebens am Obermain mit Blut und Tränen geschrieben. Aber er weiß auch leise Geschichten zu erzählen, die vom Mut im grausamen Alltag berichten. Von Bauern, die den Juden in größter Not Lebensmittel zusteckten. Und von seiner couragierten Großmutter, die erkannt hatte, dass das Wichtigste in einer Religion die Nächstenliebe sein sollte und die unter ihrer Bluse Butter zu den jüdischen Nachbarn schmuggelte.
Josef Motschmann hat sich längst einen Namen gemacht als der Kenner und Experte zum Thema »Juden« in der Region. Er beließ es aber nicht bei den wissenschaftlich-historischen Forschungen. Vielmehr ist ihm als Vertreter der Nachkriegsgeneration daran gelegen, die Aussöhnung der damals verfolgten Menschen und ihrer Nachkommen mit der heutigen Bevölkerung ihrer einstigen Heimatgemeinden zu unterstützen.
Er, der Spurensicherer, hat auf seinen zahlreichen Reisen nach Israel und in die USA viel gelernt und tiefe Freundschaften geschlossen. Viele Nachfahren von Juden, die den Obermain verlassen haben, nehmen heute aus aller Welt Kontakt mit ihm auf und lassen sich von ihm auf ihrer ganz persönlichen Spurensuche betreuen und begleiten.
Da ist aber auch noch der andere Josef Motschmann: der wendige Heimatdichter mit dem hintergründigen Witz, der die Mundartlyrik in der Region vom Ruf der nur beschaulichen, humoristischen Reimerei endgültig befreit hat. Mit dem Dichten begann er bereits während seines Studiums der Theologie in Tübingen.
Herr Motschmann war Weltbürger, lange bevor das Wort von der Globalisierung die Runde machte. In seiner studentischen Nachbarschaft lebten eine Dänin, ein Tunesier und zudem viele Schwaben. Ein Mal im Monat traf man sich, und jedes Mal musste ein anderer etwas aus seiner Heimat kochen und dazu Geschichten von daheim erzählen. Als Herr Motschmann an der Reihe war, trug er fränkisches Kulturgut hinaus in die Welt: einen Kasten Schlenkerla-Rauchbier und eine Dose Pressack. Wie die fränkische Brotzeit bei den multinationalen Kommilitonen ankam, ist nicht überliefert. Jedenfalls aber entstanden bei diesen völkerverbindenden Treffen seine ersten Mundartgedichte. Es folgten drei Mundart-Gedichtbände, die in ihrer zeitkritischen Thematik und aphoristischen Form in Oberfranken Akzente gesetzt haben. Heiteres und Ernstes in fränkischer Mundart, das Zeugnis gibt von der Liebe zu seiner Heimat und ihren Menschen.
Josef Motschmann ist ein durch und durch ehrlicher Mensch, der sagt, was er denkt, und das ohne jegliche Hintergedanken. Mit seinen zeitkritischen Gedanken eckt er auch schon einmal an bei Zeitgenossen und Amtspersonen. Es macht ihm genauso viel Spaß, über Kleinigkeiten wie die »Kartoffellese« oder eine »Sonnenblume« zu philosophieren wie auch literarisch die große Politik zu beleuchten.
Wer Schwierigkeiten beim Lesen der in Altenkunstadter Mundart geschriebenen Gedichte hat, kann neuerdings auch auf eine CD ausweichen. In dieser heiter-melancholischen Gedichtesammlung im musikalischen Gewand zollt er dem Main künstlerische Anerkennung, der nicht nur in seinem eigenen kreativen Schaffen eine gewichtige Rolle spielt, sondern im Leben der Altenkunstadter überhaupt. Der Main wird zum Sinnbild für seine fränkische Heimat und er wünscht sich, nur für einen Moment ein Grashalm zu sein, der sich im Main treiben lässt und der spürt, wie er von ihm getragen wird.
Da ist aber auch die heitere und beschwingte Seite von Josef Motschmann, die mitunter auch bissig und ironisch sein kann. Er ist ein guter Zuhörer und sorgfältiger Beobachter seiner Landsleute am Obermain. Wenn er zum Beispiel in der Litanei vom schwarzen Mauskönig – gemeint ist natürlich der Fußball-Schiedsrichter – die Schimpfkanonaden des entrüsteten Fußballvolkes lebendig werden lässt: »Du Pfeifenkopf, wart nur, nach dem Spiel wirst du gedackelt! « Wenn die Altenkunstadter in der letzten Minute unerwartet dann doch noch das Siegtor geschossen haben, dann relativiert sich der Zorn der Massen: »So schlecht hat er gar nicht gepfiffen, der schwarze Mauskönig – gell?«
Mit seinen humoristischen Vorträgen und Vorlesungen füllt er regelmäßig die Wirtshäuser, Vereinsheime und Stadthallen von Staffelstein bis Michelau und von Lichtenfels bis Altenkunstadt und die bis auf den letzten Platz. Dann zieht er die Zuhörer in seinen Bann mit Geschichten über die Eigenheiten der Menschen, mit feinfühligen Beobachtungen und poetischen Verdichtungen von Heimat und Landschaft. Und mit Visionen, so zum Beispiel, wenn er, in der Phantasie des Publikums und überwiegend von viel Beifall begleitet, den 1. FC Nürnberg in der Champions-League spielen lässt. Und gleich darauf, zurück in der fränkischen Realität, das stimmungsvolle Gedicht »Die letzten Sonnenstrahlen zwischen Banz und Vierzehnheiligen«. Wendig, witzig, widersprüchlich – ja, sie hat es ihm angetan, seine fränkische Heimat mit all ihren Spielarten und Facetten.
Josef Motschmann liebt seine Heimat und die Menschen, jeden in seiner Eigenart, und er liebt sie auch in seinem schwierigen Beruf als Religionslehrer und als Leiter der Eheberatungsstelle in Bamberg. Und er ist, wie er selbst bekennt, glücklich in seinem Beruf trotz der menschlichen Nöte und Abgründe, mit denen er täglich konfrontiert sein mag. Und aus diesem Glück und einer tiefen Dankbarkeit schöpft er die Kraft für sein unermüdliches Schaffen, das in diesem Rahmen doch nur unvollständig und bruchstückhaft beschrieben sein kann.
Heute darf ich Sie, lieber Herr Motschmann, aufnehmen in den elitären Kreis, in dem die Wendigen, Witzigen und Widersprüchlichen aus zwei Jahrzehnten ihrem Franken in seiner Schönheit, Vielfalt und Einzigartigkeit ein lebendiges Gesicht geben. Herzlich willkommen!
HANS ANGERER
Regierungspräsident von Oberfranken