Auszeichnung: 2009 – Kleinlosnitz
Laudatio
Ginge es nach Sonja Keil, so wäre die Laudatio auf die oberfränkische Gewürfelte des Jahres 2009 vermutlich recht schnell verlesen. Nicht, weil sie sich nicht freuen würde! Ganz im Gegenteil! »Wej a Schniekönich« freut sie sich sogar. »Sprachlos und total platt« war sie, als sie erfahren hat, dass der Frankenwürfel heuer zu ihr nach Wüstenselbitz rollen soll. Aber Sonja Keil ist eine, die nicht lang um den heißen Brei herum redet. Als Meisterin prägnant-kurzer Texte würde sie zu ihrer heutigen Auszeichnung bestimmt einen ihrer legendären Latschkappensprüch’ empfehlen. Mit wenigen Worten wäre alles gesagt, was zu sagen ist, die Rede wäre bald vorbei und wir könnten uns genussvoll dem Gansbraten widmen. Weil aber erstens die Gans sowieso noch nicht fertig ist und zweitens jeder gewürfelte Franke eine anständige Würdigung verdient, wollen wir dem fränkischen Wesen von Sonja Keil doch ein wenig genauer nachspüren.
Das Fränkische war ihr ursprünglich gar nicht in die Wiege gelegt. Geboren ist sie in Augsburg und lebte dort auch bis zu ihrem 13. Lebensjahr. Sie hat schon befürchtet, ihre schwäbische Herkunft könnte sich nachträglich doch noch als Auszeichnungshindernis für den Frankenwürfel erweisen. Weit gefehlt! Macht doch Hans Max von Aufsess gerade am Vielgestaltigen der Franken, das sich über Jahrhunderte durch Völkerwanderung, Heeresdurchzüge, Flüchtlingsströme und sonstige Zuzüge ergeben hat, das typisch Fränkische fest. »Franke kann man werden!« und dafür ist Sonja Keil der beste Beweis.
Mit 13 Jahren also verschlug es sie vom städtischen Augsburg in das 240 Kilometer entfernte oberfränkische Kleinschwarzenbach bei Helmbrechts und dort in die ungewohnte einklassige Dorfschule. Der Kulturschock muss für die kleine Sonja weit größer gewesen sein als es die bloße Angabe der Entfernungskilometer auszudrücken vermag. Als sie das erste Mal mit der »Helmetzer Sprouch« konfrontiert wurde, wird so manche Frage offen und manches Gespräch unvollendet geblieben sein. Aber gewürfelt, wie sie damals schon war, ist sie auf die neue Herausforderung forsch zugegangen. »Geschämt habe ich mich für mein Schwäbisch«, bekennt sie später einmal, »und dann habe ich es schnell abgelegt, um den richtigen Dialekt zu sprechen«. Die Umstellung von der schwäbischen auf die helmetzerische Aussprache war bestimmt nicht leicht. Doch wie es so ist mit den Dingen im Leben, die man am Anfang überhaupt nicht leiden kann und die man später dann am liebsten mag, so hat auch sie die neue Sprache liebgewonnen und ist heute die Expertin für die Helmbrechtser Mundart mit einem reichen Repertoire an Gedichten und Geschichten in ihrem neuen Dialekt. Wenn das nicht wendig ist!
Das Attribut »wendig« ist in Bezug auf Sonja Keil eigentlich eher eine Untertreibung. So viele Seiten kann ein Würfel gar nicht haben, dass er ihre Umtriebigkeit fassen könnte. Nur einige Beispiele ihrer vielfältigen Aktivitäten: 1982 hat sie das erste Mal eines ihrer Gedichte an den Bayerischen Rundfunk geschickt, das prompt auch gesendet wurde. Den Rundfunkleuten haben ihre Texte gefallen und heute, fast 30 Jahre später, ist Sonja Keil ein echter Radioprofi. Wenn bald wieder die Adventszeit kommt, wird sie erneut bei zahlreichen Veranstaltungen als Organisatorin oder Mitwirkende im Einsatz sein. Die Adventsfeier in der St. Bartholomäus-Kirche in Döbra und der Fränkische Advent im Helmbrechtser Textilmuseum sind feste Bestandteile ihres »Tourneekalenders«. Sonja Keil versteht es, einen weiten Bogen zwischen allen Generationen zu spannen. Als Märchenautorin und -erzählerin begeistert sie die Jungen ebenso wie die Alten. »Märchen vermitteln die Stille, die im täglichen Leben meist zu kurz kommt«, findet Sonja Keil und landete mit dem von ihr organisierten Helmbrechtser Märchentag rund um den romantischen Kirchberg einen Riesenerfolg bei den großen und den kleinen Gästen.
Schließlich ist Sonja Keil die unumstrittene Chefin der Buckenreuther Literaten, einer Art Rockenstube für die schreibende Zunft, einem feinen Kreis gleichgesinnter Hobby-Autoren, die sich regelmäßig treffen, um Erzähltes und Gereimtes in gemütlicher Runde zum Vortrag zu bringen. Sie organisiert die Zusammenkünfte und moderiert mit Witz und Schlagfertigkeit, sie hält die Truppe übers Jahr zusammen, gibt die jährliche und stets wachsende Buckenreuther Kulturlese heraus und spendiert nicht zuletzt Kuchen und »Plätzla« für das leibliche Wohl.
Mit Neugier und Entdeckerlust schaut Sonja Keil immer ein wenig über den fränkischen Tellerrand hinaus. Hat sich die Hoffnung auf einen oberfränkischen Außenminister in Berlin nicht ganz erfüllt, so besitzen wir mit ihr wenigstens eine Botschafterin des Fränkischen par excellence für ganz Bayern und den Rest der Welt. Sonja Keil kennt nämlich keine Berührungsängste und hält schon viele Jahre Kontakt zu den südbayerischen Hauspoeten, um ihren Helmbrechtser Dialekt auch dort populär zu machen. Auch bei den Vogtländischen Mundarttreffen ist sie eine feste Größe und schlägt Brücken zum Südthüringer Mundartkreis in Meiningen. Ihre »Gedichtla « haben es sogar bis in österreichische Zeitschriften geschafft.
Das Widersprüchliche an Sonja Keil tritt in treffendster Weise in ihren Rentnergeschichten zu Tage. »Hilfe, ich bin in Rente – Rentnerfreud und Rentnerleid« hat sie die autobiographisch geprägten Episoden überschrieben, mit denen sie ihr eigenes Rentnerdasein nach langen Jahren der Berufstätigkeit als Industriekauffrau in einer Art Selbsttherapie zu bewältigen versucht. Ob sie nun lachen oder weinen soll über die neu gewonnene Freiheit, weiß sie selbst nicht so genau. Ihre prägenden Erfahrungen vom schwierigen Rentner-Outing über die diffizile Suche nach dem richtigen Rentnereinkaufszeitpunkt bis hin zu ihren aufregenden Erlebnissen als Spielplatz- und Sandkastenoma für die Enkel könnten manchen »Bald-Rentnern«, »Gerade-Erst-Rentnern« und sogar den »Rentner-Profis« hier im Saal durchaus von Nutzen sein, mindestens aber für erheitertes und zustimmendes Kopfnicken sorgen.
Sonja Keils ansteckende Begeisterung gepaart mit einem Schuss Selbstironie und ihre schier endlose Kreativität lassen die Menschen neugierig werden auf fränkische Mundart. Viele ihrer Zuhörer nicken nach ihren Vorträgen anerkennend, fühlen sich von ihr mitgenommen und erkennen sich selbst wieder in ihren Beiträgen, die so lebensnah, ja so nahe am fränkischen Wesen sind. Ihr Markenzeichen ist die Wärme ihrer Worte und der mal hintergründige, mal überraschende Witz in ihren Geschichten. Haben Sie sich nicht auch schon einmal gefragt, wie es sich zugetragen hätte, wenn der erste Mensch im Paradies ein Franke gewesen wäre? Sonja Keils fränkischer Adam ist ein liebenswerter Grantler, der sich, wen wundert’s, beim Herrgott erst einmal über die fehlenden »ärbfl« beschwert und sich statt einer reizenden Eva lieber einen kräftigen Kerl für den Anbau der schmackhaften Feldfrüchte gewünscht hätte. Erst als ihm die Eva ein köstliches Kloßgericht in Aussicht stellt, freundet er sich langsam mit seiner Gefährtin an. Und weil ihn die Erwartung der Klöße resistent gegen die Verlockungen der Schlange macht, lässt er sich von ihr auch nicht aus dem fränkischen Garten Eden hinausekeln, sondern werkelt mit seiner Eva bis heute glücklich und zufrieden auf dem ärbflfeld. Da sich die Geschichte bekanntermaßen nicht ganz so zugetragen hat, dürfen wir uns, ob nun mit oder ohne Klöß’, leider nur hin und wieder fühlen wie im Paradies. Ein anderes Mal beschäftigt sich Sonja Keil mit der tiefgründigen und gerade in dieser Jahreszeit und in dieser Gegend nicht ganz unwichtigen Frage, wann die »lange Unterhosenzeit« beginnt und wann sie endet. Wollen Sie mehr wissen? Die Expertin sitzt heute mitten unter uns!
Mit großer Leidenschaft setzt sich Sonja Keil für die Erhaltung der Dialektvielfalt ein. Mundart ist für sie, auch und gerade im Computerzeitalter, ein Stück Heimat, Kultur, Bodenständigkeit.
Während in anderen Landstrichen die Mundart seit jeher mit Selbstbewusstsein gepflegt wird, sieht sie bei ihren Landsleuten in dieser Beziehung manche Defizite. »Bei uns schämt sich manch einer noch für sei’ Sprouch’«, klagt sie und fordert, dass in den Familien und vor allem auch in den Schulen der Dialekt wieder viel mehr gefördert wird. Wenn man sie fragt, warum sie in Mundart schreibt, dann antwortet sie: »Weil’s Spaß macht – wenn ich auch einmal nicht viel zum Lachen habe; weil’s gut tut – wenn es mir auch einmal nicht so gut geht; weil’s mich geistig fit hält – wenn ich auch einmal nicht ganz rund denke.« Und dann fügt sie mit dem ihr eigenen augenzwinkerndem Humor das stichhaltigste aller Argumente an: »Weil ich Mundart ganz entspannt ohne Rechtschreibregeln schreiben kann.«
Dabei ist Sonja Keil jeglicher Dialekt-Fundamentalismus fremd. Auch sie findet, dass man heutzutage des Hochdeutschen und der einen oder anderen Fremdsprache mächtig sein sollte, um in der Welt bestehen zu können. Und Kommunikation per e-mail ist für Sonja Keil zu einer Selbstverständlichkeit geworden. So ist sie bei aller traditionellen Denkweise und Einstellung doch zugleich ein moderner Mensch, der weiß, was er will, und im Leben seine »Frau« steht.
Eine Anerkennung durch einen außergewöhnlichen Preis wie es der Frankenwürfel zweifelsohne ist hat oft ja zugleich mit der Würdigung einer Lebensleistung zu tun, so als ob nun nichts mehr ansteht und dies der gelungene Abschluss der schöpferischen Tätigkeit wäre. Bei Sonja Keil, da dürfen wir uns sicher sein, bedeutet die Verleihung des Frankenwürfels keinesfalls das Ende ihres Wirkens, sondern vielmehr einen Neuaufbruch, einen Ansporn für weitere Herausforderungen und Abenteuer, frei nach dem Motto, wie von Udo Jürgens besungen: »Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.«
Sonja Keil, eine echte gewürfelte Fränkin! Herzlichen Glückwunsch!
WILHELM WENNING
Regierungspräsident von Oberfranken