Auszeichnung: 1995 – Bad Windsheim
Laudatio
»Der Franke ist ein Gewürfelter«. Wenn unser Preisträger aus Oberfranken keiner wär’, müsst’s mit dem Teufel zugehen. Und das tut es sicher nicht. Denn zum einen handelt es sich um einen Geistlichen, und zum anderen hat Pfarrer Hartmut Preß – von Rehau bis Burghaslach – mehr fränkische Lebensmarken aufzuweisen als der Frankenwürfel Flächen. Seit 1981 ist Herr Preß Pfarrer und Poet dazu im oberfränkischen Hallstadt im Landkreis Bamberg.
Dort predigt und schreibt er und macht von sich reden. Gleich einem fränkischen Abraham a Santa Clara mahnt er in einem fort: »Tut Buße!« Dabei geht es immer um die menschliche Zuwendung, die wir anderen schuldig bleiben: Alten, Behinderten, Kranken und Sterbenden, sozial Schwachen, Fremden und Andersgläubigen, aber auch der eigenen Familie, überhaupt den Kindern, und sonstigen Außenseitern unserer Leistungsgesellschaft. Pfarrer Preß will uns auf die Sprünge helfen. Dazu verpackt er sein Anliegen in allerlei Alltagsgeschichten, die immer so blauäugig daherkommen und um so mehr unter die Haut gehen. Das klingt dann so:
»Sterben
Schläuch / Computer / Dräht / Sonden /
Tropfer / Kathed(!)er / Sauerstoff
Piepser/ Lateinische Wörter / Weiße Kittel
und der dort liegt sucht a Händ.«
So bitter ist seine »Medizin für Protestanten « freilich selten – im Gegenteil. Da das Evangelium bekanntlich die »Frohe Botschaft « ist, nimmt Pfarrer Preß dieses wörtlich und erfindet hundert Listen und Tücken, um seine Schäflein in der Kirche zum Lachen zu bringen – oder vielleicht umgekehrt zum Lachen in die Kirche???
- Da fliegt dann plötzlich ein schwarzer Ball durchs Kirchenschiff, von Hand zu Hand, denn keiner will die Vor-Würfe auf sich sitzen lassen … Bis einer darauf kommt, dass man das Objekt aller Vor-Würfe – vordergründig den Ball, nach dem Sinn des Wortspiels aber die eigene Schuld – auf dem Altar, unter dem Kreuz, ablegen kann.
- Da purzeln aus dem Talar einzeln verpackte Stückchen Würfelzucker und der Herr Pfarrer fragt einzelne Gottesdienstbesucher nach ihren Geburtsdaten, um anschließend coram publico anhand der auf den Zuckerpapierchen aufgedruckten Tierkreiszeichen ihre jeweiligen Charakterzüge bloßzulegen – um damit die ganze Astrologie dem allgemeinen Gelächter preiszugeben.
- Oder es gibt »Jahreszeugnisse« für Erwachsene zum Selbstbenoten, mit den Vorrückungsfächern »Liebe, Geduld, Fairness, Zuhören, Trost- und Vergebungsbereitschaft «, den Wahlpflichtfächern »Glauben und Gottvertrauen« und dem Wahlfach »Humor «…
Die Familiengottesdienste, in denen solches geschieht, – Pfarrer Preß’ »Zweites Programm « – sind ebenso berühmt wie seine übersetzung des Markus-Evangeliums aus dem Altgriechischen ins Neufränkische und seine hintersinnigen Wetten und gottesdienstlichen Kontaktbörsen. Einmal hat er sich gar selber für einen Tag verlost. Dazu kommen jede Menge Faschingseinlagen, Aprilscherze und sonstiger Schnickschnack im Jahreslauf. Der »Gag« ist freilich nie Selbstzweck, sondern stets Mittel zu einem mehr oder weniger heiligen Zweck, und damit – fränkisch und frei nach Ignaz Loyola – auch selbst »a weng heilig«!
Die Botschaft wird offenbar verstanden, und ist’s auch nicht wahr, dass man in Hallstadt schon einen »Verein zur Regulierung übermäßigen Kirchenbesuchs« gründen musste, so ist’s doch gut erfunden.
- Es spricht für sich, dass Pfarrer Preß mit so edlen Selbstbescheidungsvorsätzen wie »Grußwort-Schweigejahr« oder »Nur-zwölf- Minuten-Predigt« am Protest seiner Gemeindeglieder ebenso jämmerlich gescheitert ist wie mit dem menschenfreundlich gedachten Abschalten des morgendlichen Sechsuhrläutens, das doch sonst in diesem unserem Land als Störung der individuellen Nachtruhe gilt und vor Gericht bekämpft wird.
- Es spricht für sich, dass der Jubelgesang der Hallstadter Johannesgemeinde die Klangwucht der Orgel um gemessene 7 Dezibel übertrifft. So geschehen in diesem Sommer.
- Und es entbehrt schließlich nicht der tiefen Symbolik, wenn über dreihundert Gläubige, die damit wieder einmal eine Wette gegen ihren Pfarrer gewinnen wollen, die ganze Johanneskirche umarmen, samt freistehendem Turm.
Was bedürfen wir weiteres Zeugnis?« (vgl. Lukas 22, 71 in der alten Luther-übersetzung)
»Sich wenden, sich drehen, im Leben bestehen « – wenn man das heute über einen Kirchenmann sagen kann, dann hat der den Frankenwürfel mehr als verdient.
Dr. ERICH HANIEL
Regierungspräsident von Oberfranken