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Dr. Günther Beckstein – Nürnberg (Mittelfranken)

Auszeichnung: 2015 – Thurnau

Laudatio

„Was bin ich?“, „das heitere Beruferaten“ von Robert Lembke hätte unser mittelfränkischer Gewürfelter des Jahres 2015 sicher mit einem prall gefüllten „Schweinderl“ verlassen. Oder wüssten Sie, um wen es sich handelt bei folgender Schilderung:

  • Während seiner Volksschulzeit suchte er schon früh Kontakt zu Kriminellen des seiner Schule gegenüberliegenden Gefängnisses, in den Pausen rief er den Häftlingen aus sicherer Entfernung die übelsten Schimpfworte zu, bis sie aus vollem Hals zurückbrüllten.
  • Seinem Lehrer im Gymnasium stahl er das Notenbüchlein und erhielt dafür auf Nachfrage lieber vom Lehrer als von seinem Vater eine Backpfeife, weil die vom Vater „deutlicher ausfallen würde“.
  • Nach abgeschlossener Ausbildung unternahm er seine ersten beruflichen Schritte bei der sogenannten „Ganoven Gabi“ alias „Revolver Lehmann“.
  • 1971 geriet er mit der Staatsmacht in Konflikt und musste als Teilnehmer einer Sitzblockade beim 10-jährigen Gedenken an den Bau der deutschen Mauer von Polizeibeamten weggetragen werden.

Er, der Kleinste in seiner Volkschule und wie behauptet wird angeblich noch schüchtern im Gymnasium, erklomm schließlich als „harter Hund“ 2007 das höchste Amt im Freistaat Bayern. Begrüßen Sie mit mir den früheren obersten Polizisten Bayerns, den dienstältesten bayerischen Innenminister der Nachkriegszeit, den „Botschafter Frankens“ in München, unser „fränkisches Volkseigentum“, wie ihn Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly 2014 bezeichnete, den einzigen protestantischen und fränkischen „Ministerpräsidenten des Herzens“ Dr. Günther Beckstein mit einem donnernden Applaus.

Was macht nun diesen Menschen, Juristen und Vollblutpolitiker zum fränkischen Gewürfelten?

Dr. Günther Beckstein, ein fränkischer „Politiker zum Anfassen“, ist durch Geburt, Leben, Beruf und Berufung, seine fränkische Aussprache, die „hardes D und weiches D“ liebevoll verwendet und bei Versuchen, dies zu ändern, kläglich daran scheitert, seine Art, seinen Schalk, seinen Witz sowie seinen protestantischen Glauben und sein Werk zutiefst mit Franken verbunden. Ein demütiger und bewundernswert gelassener Mensch, auch in Niederlagen. Ein – wie die Franken eben so sind – bescheidener Mensch. Besonnen und wandlungsfähig, aber auch mit „Ecken und Kanten“, wie ein Würfel eben. Er erfüllt die drei Frankenwürfel – Ws wendig, widersprüchlich und witzig vollumfänglich, wie seine Vita bezeugt:

Dr. Günther Beckstein ist am 23. November 1943 in Hersbruck als Sohn eines Lehrerehepaars geboren. In der Volksschule Hersbruck herrschten noch strenge Sitten. Der Lehrer kümmerte sich sehr um seine Zöglinge, zur Strafe wurden die Hinterteile der Schüler aber auch schon mal mit Stecken von Haselnusssträuchern traktiert. Hier entwickelte Dr. Beckstein seinen Leistungswillen und seine Leistungsbereitschaft auf manchmal schmerzhafte Art.

1954 zog er mit seiner Familie nach Nürnberg, wo er am Willstätter Realgymnasium ein sehr gutes Abitur machte. Sein eigentliches Interesse galt seit der Vorbereitung auf seine Konfirmation aber dem eher konservativen Christlichen Verein Junger Männer CVJM in der Kirchengemeinde Nürnberg- Lichtenhof. Schon damals beeindruckte ihn die „intellektuelle Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten“, er gestaltete Bibelabende und „ließ sich durch Predigten und Vorträge inspirieren“. Kurz vor dem Abitur zog er es sogar in Erwägung Theologie zu studieren, ließ es aber bleiben, weil er befürchtete, dass dies „seinen kindlichen“ Glauben verändern würde. So studierte er stattdessen Rechtswissenschaften und war von 1971 bis 1988 als selbstständiger Rechtsanwalt u. a. in der Kanzlei der bereits zitierten „Ganoven Gabi“ tätig.

Das Leben in und mit der Kirche und die Auseinandersetzung mit dem Glauben und der Kirche prägte ihn weiter. So lernte er 1971 im Kirchenvorstand von Nürnberg-Lichtenhof seine künftige Ehefrau Marga kennen, die dort die „nicht fromme weibliche Jugend vertrat“, die den „linksorientierten Studentenpfarrer und späteren Landesbischof Hermann von Loewenich“ mit einer gewissen Bewunderung „den roten Löwen“ nannte. Und die sich mit Beckstein im Kirchenvorstand zahlreiche Streitgespräche lieferte. Trotzdem kamen sie sich näher und Marga blieb Zeit seines Lebens sein personifizierter Widerspruch. 1973 heiraten die Beiden in der Gustav- Adolf-Kirche in Nürnberg, „sie mit langem weißem Kleid, er mit Elvis-Tolle“.

Seine Frau gab trotz seines Wunsches ihren Beruf als Lehrerin mit Ausnahme von zwei Jahren nicht auf, weil er ihr im Gegenzug nicht versprechen konnte, immer pünktlich um 18.00 Uhr zu Hause zu sein! Eine sehr vorausschauende und weise Entscheidung! Trieb Günther Beckstein mit seiner sprichwörtlichen Pünktlichkeit doch Scharen von Veranstaltern, Begleitschützern und Büroleitern in die Verzweifelung. Nicht umsonst gibt es in Franken eine eigene Zeitrechnung: 1 Beckstein = 15 Minuten zu spät, 2 Beckstein = 30 Minuten später, usw..

In den 1970ern begann seine unaufhaltsame politische Karriere: Von 1973 bis 1978 als Bezirksvorsitzender der Jungen Union Nürnberg-Fürth, im Anschluss als stellvertretender Vorsitzender des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth-Schwabach, ab 1991 bis 2007 als dessen Vorsitzender.

1974 wurde er erstmals für die CSU in den Landtag gewählt, dem er bis 2013 ununterbrochen fast 40 Jahre angehörte. 1987 trat er im traditionell „roten Nürnberg“ bei den Nürnberger Oberbürgermeisterwahlen an und verlor die Stichwahl gegen Dr. Peter Schönlein. Die verlorene Wahl schmerzte ihn lange, aber dennoch blieb er in der Politik, wurde 1988 stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion und nach dem Tod von Franz Josef Strauß unter Innenminister Dr. Stoiber, dem er stets bis zur Selbstverleugnung loyal blieb, von 1988 bis 1993 Staatssekretär im Innenministerium. Von 1993 bis 2007 war er als Innenminister schließlich die Aufsicht des Nürnberger Oberbürgermeisters, was ihn die verlorene OB-Wahl endgültig in einem anderen Licht erscheinen ließ.

Das Innenministerium ist ein Ministerium, in dem man sich bekannt aber auch unbeliebt machen kann. Beides ist Dr. Beckstein trefflich gelungen! So war er beliebter Geldgeber für Kommunen, nicht zuletzt dank seines Einsatzes hat seine Heimatstadt Nürnberg ein modernisiertes Frankenstadion, ein Neues Museum, ein Staatstheater und eine prächtige Messe erhalten. Für nicht wenige war er aber auch ein Feindbild, weil er z. B. das Ausländerrecht konsequent umsetzte. Die Kirchen boten seit 1994 „Kirchenasyl“, in dem sie vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern in Gotteshäusern Fluchtorte zur Verfügung stellten. Damit verhinderten sie rechtmäßige Abschiebungen, aus Sicht des Juristen Beckstein ein Rechtsbruch. Als er 1996 das „Kirchenasyl“ einer oberfränkischen evangelischen Adventsgemeinde einmal doch beendete und einen Asylbewerber aus Togo aus dem in eine „Kirche“ umgewandelten Reihenmittelhaus heraus abschob, erntete er öffentlich Kritik von dem damaligen Landesbischof Hermann von Loewenich, einem Freund der Familie Beckstein. Obwohl dieser Asylbewerber später im ZDF zugab, seine Fluchtgründe erfunden zu haben, blieb Beckstein das Image eines Hardliners, eines Law-and-Order-Ministers, eines „Schwarzen Sheriffs“. Er korrigierte dieses Bild nicht, auch wenn viele, die ihn näher kannten, genau wussten, wie schwer er innerlich mit seinen Entscheidungen rang und wie ernst er sie nahm. Nach außen meinte er: „Lieber bin ich ein Hardliner für Recht und Ordnung als ein Weichei für Unrecht und Unordnung.“

Trotz dieser Konflikte wurde der Innenminister ab 1996 18 Jahre lang berufenes Mitglied der bayerischen evangelischen Landessynode und später sogar Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD).

Beckstein zeigte in diesen Gremien gerade in den schwierigen Asylfragen in nächtelangen Diskussionen mit den Kirchenvertretern großes Fingerspitzengefühl. Dank der auf seine Veranlassung eingerichteten „Härtefallkommission“ konnten in Einzelfällen Härten vermieden werden, Konfrontationen mit Kirche und Staat wurden seltener, die Zusammenarbeit besser, er wurde der Kirche ein „wichtiger Brückenbauer zur Politik“. 2011 attestierte ihm der damalige Landesbischof Friedrich, dass „er ein Politiker ist, der sein Christsein ernst nimmt und danach handelt“. Was für ein schönes Lob für einen „harten Hund“. Auch Otto Schily, Bundesinnenminister und politisch roter Zwilling des Bayerischen Innenministers, machte 2014 in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Nürnberg für Günther Beckstein deutlich: „Seine aktive Tätigkeit in der evangelischen Kirche gehört unbedingt in das Zentrum seines Persönlichkeitsbildes. Manche vorurteilsbeladene Kritik, die ihm völlig zu Unrecht Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus vorwirft, verkennt, dass Günther Beckstein immer wieder versucht hat, sein politisches Handeln in Einklang mit seinen christlichen Grundüberzeugungen zu bringen.“

Weiter ging es auf der politischen Karriereleiter: 2002 nahm ihn Kanzlerkandidat Edmund Stoiber als künftigen Bundesinnenminister in sein Wahlkampfteam auf, obwohl Beckstein von vornherein lieber in Bayern geblieben wäre. Er fügte sich damals wendig in die neue ihm zugedachte bundespolitische Rolle mit den Worten: „Nachdem ich erfahren habe, dass ich es will, will ich es auch und freue mich darüber“. Es kommt anders: Die Union verliert die Wahl, Kanzler Schröder regiert weiter, Edmund Stoiber bleibt Ministerpräsident.

Beginnend mit Ereignissen um eine „schöne mittelfränkische CSU-Landrätin“ und nach der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth im Januar 2007 verkündete schließlich Dr. Edmund Stoiber seinen Rücktritt als Ministerpräsident. So wurde Beckstein im Oktober 2007 von der Landtagsfraktion der CSU als Ministerpräsident und als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2008 gewählt. Der Traum der Franken wurde wahr. „Unser“ erster fränkischer und dazu protestantischer Ministerpräsident! Was waren wir stolz, das Frankenherz jubilierte.

Doch der fränkische Traum im höchsten bayerischen Amt währte nur kurz. Und obwohl Beckstein in Mittelfranken der „absolute Stimmenkönig“ war und ein Vielfaches mehr an Voten als die Spitzenkandidaten der anderen Parteien erhielt, erklärte Günther Beckstein nach dem schlechten Abschneiden der CSU bei der Landtagswahl 2008, nicht mehr für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren. Als loyaler Mensch und guter Verlierer kommentierte er seinen 2008 verlorenen Posten als Ministerpräsident fränkisch zurückhaltend: „Es standen zwar alle in jenen Tagen hinter mir, aber nicht alle in guter Absicht“. Wer aus unserer Sicht den „altbayrischen Dolchstoß“ ins enttäuschte fränkische Herz setzte, soll hier nicht diskutiert werden. Wir Franken, die wir wie Günther Beckstein die Intrige nicht beherrschen, haben hierzu eine dezidierte Auffassung, werden uns aber hüten, diese zu äußern! Treffend kommentierte den Vorgang aber Oliver Tissot bei der Prunksitzung in Veitshöchheim am 14.02.2009 so: „Erst hat man uns Franken das Herz herausgerissen und uns dann noch geköpft. Aber wir sind die einzigen, die das aushalten.“

Mit dieser Schilderung des beeindruckenden Lebenslaufs von Dr. Beckstein ist seine Widersprüchlichkeit so meine ich hinreichend belegt. Kommen wir zum Witz.

Becksteins Witz ist ausgeprägt fränkisch und trocken, seine Art ist ungekünstelt. Nur zwei Kostproben:

  • „Es gibt drei Gemeinsamkeiten zwischen einem Storch und einem Preußen: großer Schnabel, kleines Hirn und der Drang nach Süden.“ Oder:
  • „Bei der Schleierfahndung machen wir gerade keine willkürlichen Kontrollen. Ich sage es einmal salopp: Wir kontrollieren diejenigen, die danach aussehen, als ob sie einer Kontrolle dringend bedürften“.

Die Wendigkeit von Dr. Beckstein spiegelt sich nicht zuletzt in seinen „Verkleidungen“ wieder, die er mit Freude und Schalk im Nacken trägt, etwa als überzeugter „Glubberer“ mit grün-weißer Krawatte 2009 ausgerechnet im Fürther Ronhof beim Lokalderby der „Greuther“ gegen den 1. FCN, oder bei der „Fastnacht in Franken“ in Veitshöchheim. Er, der in seinem Politikerleben immer klar definierte Rollen einnahm, „freut sich das ganze Jahr darauf, endlich einmal aus der Rolle fallen zu dürfen“, was ihm und seiner Frau zur Freude des Publikums ausnehmend gut gelingt. Er ist nach den mittelfränkischen Gewürfelten Heißmann & Rassau, Häffner und Händel ein weiterer Großer des Veitshöchheimer Frankenfaschings. Seine Faschingskostüme spiegeln dabei Ereignisse aus seinem Politikerleben und als Synodaler wieder:

So tritt er 2006 im Zusammenhang mit der Landtagswahl als Bayerischer Löwe und seine Frau als Fränkischer Rechen auf, 2008 als neu gewählter Ministerpräsident als Patrona Bavariae und seine Frau als Landesmutter der sieben bayerischen Regierungsbezirke. 2009 trumpft er in Veitshöchheim mit einem oberbayerischen Dirndl auf, eine Anspielung auf die Weigerung der damaligen Ministerpräsidentengattin ein solches beim Oktoberfest 2008 zu tragen. „Dirndl-Beckstein ist der Quotenkönig“ titelten daraufhin die Nordbayerischen Nachrichten-online am 15.02.2009. 2010 nimmt er als Martin Luther Bezug auf seine Wahl zum Vizepräses der EKD. 2013 erscheint er dann in einer Paraderolle schrill als Claudia Roth verkleidet, seiner „erklärten Lieblingsfeindin, an der er, wie er sagt, seine Toleranz prüft“.

Auch wenn ein Günther Beckstein keine Auszeichnungen bräuchte, hat er doch u. a. den Bundesverdienstorden erster Klasse, den bayerischen Verdienstorden, die Kommunale Verdienstmedaille in Gold, den Deutsch-Türkischen Freundschaftspreis, den Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft, den Schlesierschild, das Ehrenkreuz des pegnesischen Blumenordens und den Nürnberger Trichter erhalten. Auch ist er Ehrenbürger seiner Heimatstadt Hersbruck und seines langjährigen Wohnortes Nürnberg. Aber die höchste Dekoration, der „Oskar“ unter den Auszeichnungen, der Frankenwürfel, steht noch aus – eine Steigerung ist dann nicht mehr möglich!

Herzlich willkommen, Dr. Günther Beckstein, im Kreise der Alt- und Neugewürfelten. Wir hoffen, dass wir künftig nicht nur im Anschluss noch viel von Ihnen lesen, hören und sehen werden!

Dr. THOMAS BAUER
Regierungspräsident von Mittelfranken