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Günter Stössel – Nürnberg (Mittelfranken)

Auszeichnung: 2010 – Bad Windsheim

Laudatio

Er ist ein »Nachtgiger«, sagt er von sich selbst und so heißt auch seine eigene Plattenfirma. Wir sind sehr froh, dass unser mittelfränkischer Gewürfelter entgegen seinen Gewohnheiten heute frühzeitig aufgestanden und rechtzeitig erschienen ist. Heißen wir den »Nachtgiger« Günter Stössel mit einem herzlichen Applaus willkommen!

»Was macht einen Menschen zum Franken?« Diese philosophische Frage hat uns Herr Regierungspräsident Wilhelm Wenning zu Beginn seiner Laudatio gestellt. Auch wenn wir keine abschließende Antwort haben, eines ist sicher: Günter Stössel ist durch Geburt, Leben und Werk mit Franken auf innigste verbunden, ein fränkisches Urgestein schlechthin, ein Franke par excellence, der die bereits viel zitierten drei Frankenwürfel – Ws wendig, widersprüchlich und witzig umfänglich erfüllt. Nicht umsonst sind seine Aktivitäten mit einer Vielzahl von Attributen und Titeln versehen worden:

Sprachverdichter, Sprachforscher und Sprachbewahrer, Spezialist für englisch – fränkischen Sprachtransfer, Sprachartist, Mundartlyriker und Dialektpoet, Barde der 1. Stunde, Liedermacher und Sänger, Kabarettist und Entertainer, Schriftsteller, Funkplauderer, sowie großer Tüftler und Erfinder vor dem Herrn.

Auch wenn es nichts zu beweisen gilt, was auf der Hand liegt, will ich die drei W-Eigenschaften von Günter Stössel exemplarisch belegen:

Seine Wendigkeit zeigt sich für mich am deutlichsten in seinem Lebenslauf. Günter Stössel ist 1944 in Nürnberg geboren und wohnte dann von seinem vierten Lebensjahr an in Fürth, was einem geborenen Nürnberger eine unvorstellbare Wendigkeit abverlangt, werden einem Nürnberger die Vorbehalte gegen Fürth doch quasi schon in die Wiege gelegt. Manch bös meinender Nürnberger würde so einen Umzug, (anwesende) Fürther mögen mir dies verzeihen, wohl als Entwicklungshilfe für Fürth bezeichnen. Mit 26 Jahren zog Günter Stössel dann wieder zurück nach Nürnberg, hat seine Verbindungen nach Fürth aber nie ganz abgebrochen, wie man hört.

Niedergelegt hat Günter Stössel seine Erfahrungen aus zwei Welten in dem Bestseller »Nürnberg bei Fürth, eine städtegeschichtliche Zoff-Sammlung«, in dem er 1992, unter dem »Blickwinkel Soochermal- du bisgwieß vo Färrd« liebevoll die Hassliebe zwischen Nürnbergern und Fürthern und die Nürnberg – Fürther Streitkultur verarbeitete. Eine äußerst empfehlenswerte Lektüre, die die landläufigen Sprüche und Redensarten nicht auslässt, aber anhand der Chroniken beider Städte und geschichtlich fundiert auch deutlich macht, worauf sich die ewige Zankerei zurecht oder zu unrecht gründet und wie sie sich im Alltäglichen auch noch heute auswirkt. Dass dabei gar nichts dran ist am berühmten «Bloosorsch vo Färd« wird auch mir als eingefleischtem Nürnberger im letzten Kapitel dieses Buches deutlich vor Augen geführt, weil man statt «Färd« eben jede andere Stadt einsetzen kann. »Bloosorsch« ist nämlich ein sogenanntes »Wanderwort«, das bevorzugt für Ortsneckereien benutzt wird. Auch wenn Regierungspräsident Wenning, der »alte« Fürther, mir meine eingangs geäußerten despektierlichen Worte über die Nürnberg-Fürther Entwicklungshilfe als eingefleischter Kenner der Materie sicher schon längst verziehen hat, möchte ich zu meiner eigener Ehrenrettung als in Ansbach an der Promenade residierender Regierungspräsident aus diesem Werk noch folgendes zitieren:

»Hasts scho ghärt? Woos? Die Bromenad homms gsperrt! Warum? Wall der Bloosorsch vo Nemberch es Rodfohrn lernt!«

Auch die Widersprüchlichkeit von Günter Stössel zeigt sich in seinem Lebenslauf. 1967 bis 1970 studierte er am Georg-Simon-Ohm-Polytechnikum in Nürnberg Maschinenbau und war dann bis 1988 als Ingenieur bei einer großen, weltweit agierenden Erlanger Firma tätig, bis er seinen fast 20 Jahre ausgeübten Brotberuf an den sprichwörtlichen Nagel hängte und endgültig die Künstlerlaufbahn als Barde und Schriftsteller einschlug, um sich voll und ganz Franken und seinen Franken zu widmen. Maschinenbauingenieur und Künstler: Zwei Berufe und zwei Charakterpole, die normalerweise in einer Person nicht zusammenkommen können. »Zwei Seelen ach in seiner Brust pochten und pochen«: Die Akribie und Genauigkeit des Ingenieurs und auf der anderen Seite die Spontanität und Laissez-faire-Haltung des Künstlers. Angesprochen auf diesen Gegensatz vertritt er ein entschiedenes »sowohl als auch – nicht« und sagt zu seiner technischen Seite »Ach nein, Ingenieur das war auf Dauer nix für mich« und zu seiner künstlerischen »Na ja, Liedermacher höre ich nicht so gern«.

Geblieben ist bei ihm der Hang zum Erfinden, Tüfteln und Schrauben. So hat er etwa ein perfektes Gerät entwickelt, mit dem man auch während eines Konzerts ganz schnell die abgerissene Saite einer Gitarre wieder aufziehen kann, ohne ewig manuell am Wirbel drehen zu müssen: auf die Bohrspitze eines Akku-Schraubers montiert er den Steckaufsatz einer handelsüblichen Saiten-Kurbelwinde. Er sagt allerdings selbst dazu: »Ma derf blouß ned vergessen, vur Gebrauch die Buhrgeschwindichkeid auf die langsamste Stufn zu stelln, sunst fläicht einem die neie Saitn schneller um die Ohren, als die alte grissen is«. Ob er die Idee zum Patent angemeldet hat, ist nicht bekannt.

Günter Stössel’s Witz ist ausgeprägt fränkisch und trocken, seine Art ist ungekünstelt, halt einfach Stössel. Kennzeichnend für diesen Witz ist die legendäre Buchreihe »Nämberch English Spoken«, mit dem Untertitel »Sprachbasteleien für Hiesige und Zugereiste«, deren erster Band 1975 gedruckt wurde und deren 6. Band in Kürze erscheint. Die Gesamtauflage beläuft sich auf inzwischen über 100.000. Stössel hat mit dieser Sprachbastelei wie ein Eroberer fränkisches Dialektneuland beschritten! Die Idee, fränkische (nämbercherische) Dialoge so ins Englische zu übertragen, dass der aus beinahe, wie es scheint, mutwillig zusammengetragenen englischen Wörtern bestehende Text, nur fränkisch ausgesprochen einen Sinn ergibt, ist herzerfrischend und hintergründig witzig. Wie man auf dermaßen witzigen »Unsinn« (oder besser »nonsens«, auch wenn Stössel als Bewahrer der deutschen und fränkischen Sprachkultur die Verwendung von Anglizismen nicht schätzt) kommen kann, bleibt mir zwar verschlossen. Es ist aber eine wunderbare Bereicherung der fränkischen Literatur, und zwar eine der besonders humorigen Art! Als besonders reizvoll hat es sich dabei erwiesen, sich den geschriebenen Text von Engländern vor fränkischem Publikum vorlesen zu lassen. Das Publikum soll dabei Tränen lachen, so verbürgt geschehen in einer Englischstunde am Hans-Sachs-Gymnasium in Nürnberg, an dem auch ich verbildet wurde. Hier wurde einer Lehrerin aus Birmingham einer der Texte von Günter Stössel vorgelegt. Die Schüler seien unter dem Tisch gelegen vor Lachen, heißt es, während die arme Engländerin nicht so recht gewusst haben soll, was sie da eigentlich las. Bevor ich Ihnen jetzt selbst so eine angelsächsische Sprachkomposition, und zwar zum Thema Essen zum besten gebe, hören Sie vorab noch die Gebrauchsanweisung des Autors zum Vorlesen:

»Die Sätze sollen – möglichst laut – gelesen werden, wobei das »r« wie im Fränkischen »gerollt« werden soll, ebenso soll der Konsonant »l« unter Herausstrecken der Zunge nach klassischfränkischer Art gebildet werden.«

So, mal sehen, ob das gelingt! Damit Sie das Gesprochene aber auch »englisch« mitlesen können, nur so erschließt sich der besondere Reiz, lesen Sie einfach mit auf der Rückseite Ihres Programms. Dort finden sich einige Textpassagen, die ich u. a. seinem 4. Band »Nämberch English Spoken« zum Thema »Im Speiselokal« entnommen habe. Hier sitzen drei Geschäftsleute zu einem Arbeitsessen zusammen, hangeln sich durch die Speisekarte und überlegen, was sie bestellen sollen. Günter Stössel greift auch hier, wen wundert’s als schon fast Gewürfelter, das liebe Federvieh auf, aber nicht die Gans:

»Sea, bringers dry bills!«
Würden Sie uns bitte drei Glas Pils servieren!?

»Abroad handle udder a faddle buck handle is mere fie labour way dry crowd wiggle, clubsters!«
Ein Brathühnchen oder ein viertel Backhähnchen ist mir doch tatsächlich lieber als drei Kohlrouladen- das muss ich wirklich sagen!

Einer seiner »Soocherer« in »Nämberch English spoken« ist Beleg dafür, das er gut leben kann, obwohl er seinen Brotberuf an den Nagel gehängt hat:

»My war left guns goat«

Herzlich willkommen, Günter Stössel, im Kreise der Alt- und Neugewürfelten. Wir hoffen, dass «ear war wider goat left« und wir nicht nur im Anschluss an meine Rede zukünftig noch viel von Ihnen hören werden!

»Fill fried winchy«

DR. THOMAS BAUER
Regierungspräsident von Mittelfranken