Auszeichnung: 2005 – Kreuzberg
Laudatio
Die Pigorsch Cilli ist ein rechtes Weiberleut, wie sie in unserer Rhön früher recht oft, heutzutage leider aber immer seltener anzutreffen ist. Couragiert ist sie, und das hat sie von Kind auf – damals noch die Herberts Cilli – gelernt, weil sie sich nämlich unter ihren Brüdern daheim in Leutershausen ja immer wieder behaupten musste.
1936 in Leutershausen bei Bad Neustadt a.d. Saale geboren – ihr Vater war ein stolzer Bauer, wie sie erzählt – wuchs sie mit sechs Geschwistern auf.
Die offene und leutselige Art des Elternhauses hat Cilli Pigor entscheidend geprägt, schließlich haben die Herberts sich immer wieder eingemischt, wenn es um lokale, aber auch um überörtliche Belange ging.
Auch die Cilli, die seit 1957 in Unsleben beheimatet ist, hat sich immer wieder eingemischt. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als sie ihre literarische Ader entdeckt hatte und ihrem Umkreis im Leutershäuser Frauenbund klar machte, dass auch die Rhöner eine Identität haben. Sie war es leid, dass die Eigenarten der Rhöner Dörfer und ihrer Bewohner so in die Ecke gestellt wurden. Wer wollte denn schon als rückständig gelten mit mundartlichen Ausdrücken, die so gar nicht in diese Zeit passen wollten wie der Begriff »Nachte«. Dabei ist dieser Begriff doch hochdeutscher als »Gestern«, bedeutet er doch nichts anderes als »vor einer Nacht«. Diese bodenständigen Ausdrücke sucht Cilli Pigor. Das verloren gegangene Selbstbewusstsein, das hat sie immer wieder neu aufgerichtet.
Die Erinnerungen an das bäuerliche Leben, die langjährige Mitarbeit in der Tierarztpraxis ihres Mannes sowie der tägliche Umgang mit den Menschen haben sie geprägt und liefern ihr reichhaltigen Stoff für ihre Geschichten. Die waschechte Rhönerin spricht die Sprache der Leute, hat ihnen immer »aufs Maul« geschaut und so Sprache und Brauchtum, aber auch das Rhöner Theaterspiel ins Bewusstsein der Menschen gerufen. Sie kann mit Fug und Recht als Expertin für Rhöner Mundart bezeichnet werden, mit der sie schon von Kindesbeinen an vertraut ist.
So berichtete sie, dass sie sich in jungen Jahren immer darüber ärgerte, wenn sie in der Schule Theaterstücke in oberbayerischer Mundart einstudieren musste. Sie habe dann, und zwar im Jahr 1986, in einem Leserbrief ihren »ganzen Frust herausgelassen « und in Rhöner Mundart die Begriffe umgesetzt, die da in einem oberbayerischen Stück in Bad Neustadt geboten wurden. Das war für Cilli Pigor der Beginn, seit 1986 für die Rhön- und Saalepost wöchentlich etwas zu schreiben und zwar in Mundart. »Bos määnt denn Ihr dozu …« hießen diese Glossen, die sehr gut ankamen.
Sie fanden später in der Main-Post unter »Do hömmersch« ihre Fortsetzung. Cilli Pigor lässt in diesen Glossen ein augenzwinkerndes Rhönschaf ihre Mitmenschen und auch sich selbst beobachten. Im Rhöner Dialekt erzählt sie mit hintergründigem Humor von ihrer Kindheit und Jugend auf dem Dorf, vom Alltag und interessanten Erlebnissen. Auch aktuelle Themen werden von ihr ironisch und witzig kommentiert. Leser der Tageszeitung freuen sich seit Jahren über ihre wöchentliche Mundart-Glosse — und damit auch Zugereiste verstehen, was Sache ist, gibt es als übersetzungshilfe den »Merker«.
Die Entscheidung, Cilli Pigor als Kreisheimatpflegerin einzusetzen, fiel unter Landrat Dr. Fritz Steigerwald, auch ein Gewürfelter, der sich heute unter uns befindet. Er und sein Kreistag waren der Meinung, mit Cilli Pigor die richtige Frau für die Heimatpflege in der Rhön gefunden zu haben. Cilli Pigor selbst war da zunächst ganz anderer Meinung. »Ich habe mir erst einmal Bedenkzeit ausgebeten und gemeint, dass das wirklich nichts für mich ist.« Ein Zufall war es, dass sie, als sie dem Landratsamt absagen wollte, an den damaligen Kreisbrandrat Hermann Ziegler aus Bischofsheim geriet. »Der diskutierte mit mir am Telefon und sprach über die Arbeit und das so lange, bis ich endlich zusagte«, erinnert sich Cilli Pigor heute noch. Dann habe sie erst einmal überlegt, was sie als Kreisheimatpflegerin wohl für Aufgaben habe, denn das konnte ihr eigentlich niemand sagen. Eines verband sie allerdings mit dem neuen Ehrenamt: die Mundart.
Als sie dann als Kreisheimatpflegerin von Dorf zu Dorf gezogen ist mit ihrem klitzekleinen Tonbandgerätchen, da hat sie vieles wieder aufgeweckt. Sie setzte sich mit den älteren Leuten am Küchentisch zusammen, führte zunächst eine ganz belanglose Unterhaltung und hat dann ganz so nebenbei ihr »Tonbändle mit hat lauf läss«, weil doch die älteren Semester einen ganz gehörigen Respekt vor diesem »technischen Glump« hatten. Da ist es tatsächlich öfters vorgekommen, dass nach einer oder zwei Stunden die Nachbarn und die Kinder mit am Tisch saßen und es wurden längst vergessen geglaubte Rhöner »Schlumperliedlich« oder auch Hochzeitslieder gesungen.
Nicht zu vergessen sind aber auch ihre vielen Moderationen in Mundart und die Mundartkolenner, auf hochdeutsch ihre Mundartkalender, die ein voller Erfolg wurden und die sich zu einer Art Weihnachtsklassiker entwickelten.
»Etwas, das ich nie gedacht habe,« sagt Cilli Pigor und verweist auf die Mithilfe vieler im Landkreis Rhön-Grabfeld, die ihr für diesen Kolenner vor allem historisches Bildmaterial zur Verfügung stellen oder ihr beim übersetzen von Rhöner Begriffen helfen. Gerade das sei es ja gewesen, was den Mundartkalender ausmacht. Täglich kann man dort irgendeinen Rhöner Begriff oder ein Sprichwort lesen. Oftmals, so Cilli Pigor schmunzelnd, habe sie auch mal ein neues Sprichwort erfunden, wie »Sitzen die Hühner auf der Stange, brauchst Du sie nicht mehr einzufange«.
Cilli Pigor war neun Jahre Kreisheimatpflegerin mit Leib und Seele, und das ist sie eigentlich heute auch noch. Auch wenn sie vor einigen Jahren das Ehrenamt zurückgegeben hat, hat sie deshalb die Liebe zu ihrer Rhöner Heimat, zu den Bräuchen und vor allem der Mundart nicht aufgegeben.
Doch schon vor ihrer Tätigkeit als Kreisheimatpflegerin hat Cilli Pigor eine weitere Passion betrieben: Bereits seit 1984 verfasste sie Theaterstücke und Sketche in Mundart, die mit viel Erfolg in Leutershausen und über die Grenzen des Landkreises hinaus aufgeführt werden. Die Erinnerung an das bäuerliche Leben sowie der tägliche Umgang mit den Menschen lieferten ihr den reichhaltigen Stoff für all ihre Geschichten. Viele Jahre hat sie sich in der Arbeitsgemeinschaft Mundarttheater Franken für das Theaterleben engagiert. Cilli Pigors Leutershäuser Dorftheater setzte in den achtziger Jahren richtungweisende Akzente für die Rhöner Laienbühne. Ihr und ihren zahlreichen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass Schluss damit ist, dass auf unseren Laientheaterbühnen »ja mei« und »a wengerl« gesprochen wird und endlich alpenländische Wilderergruseleien auf Frankens Bühnen der Vergangenheit angehören. Rhöner Art und Rhöner Atmosphäre, Rhöner Mundart und Rhöner Schlitzohrigkeit haben seitdem auf unseren Laienbühnen ihren festen Platz gefunden. Legendär ist mittlerweile Cilli Pigors in den achtziger Jahren geschriebenes Mundarttheaterstück »Zaloot und Klöeßbröckelich«.
Cilli Pigor ist das »Mundartliche Rhöner Gewissen«, wie einmal eine Tageszeitung titelte. Sie geht mit ganzem Herzen auf die Menschen zu, ihre Arbeit hat sie immer mit viel Liebe getan. Sie hat eine natürliche und ungekünstelte Art und verfügt über einen enormen Einfallsreichtum. Bei ihrer Verabschiedung als Kreisheimatpflegerin 2000 sagte sie: »Wenn ich meinen Stolz als Rhönerin habe übermitteln können, dann weiß ich, dass ich es richtig gemacht habe!«
Die Cilli darf man ruhig auch als witzigen Menschen bezeichnen, sogar als »e wenig fürwitzig«. Wer die Cilli nicht mag, der ist eigentlich selber schuld, weil sie ihre Arbeit für die Rhön und ihre Menschen so natürlich und so ansteckend zu gestalten versteht. Sie drängt sich dabei niemandem auf, aber sie weckt die Neugier. Deshalb hat sie auch so viele Freunde gefunden.
Dass die Mundart nun auf vielen Gebieten, wie dem Theater, beim Gesang oder der Rhöner Fasnacht, wieder so präsent in der Rhön ist, das muss man ihr zu einem großen Teil zurechnen.
Wenn sie heute auch jetzt noch eine Gewürfelte wird, so erhält sie neben dem Prädikat »Mundartliches Rhöner Gewissen« eine weitere Auszeichnung von ganz besonderem Wert. Die Würfelei kann man schon als eine Art Ritterschlag bezeichnen. Die Rhöner haben jedenfalls die Cilli verdient und sie geben sie auch nicht mehr her. Denn so wie ein Würfel eben fällt, die Cilli ist bei jedem Wurf ein absoluter Hauptgewinn.
Dr. PAUL BEINHOFER
Regierungspräsident von Unterfranken