Auszeichnung: 2022 – Rottendorf
Laudatio
Der Umstand, dass ihre Wiege nicht in Franken stand, ließ Carolin Pruy-Popp einen kleinen Moment zweifeln, als ihr die Verleihung des Frankenwürfels angetragen wurde. Eine gebürtige Oberpfälzerin auf der fränkischen Ehrentafel, kann das sein? Die bunte Schar der Gewürfelten wäre allerdings um einige ausgezeichnete Exemplare ärmer, wenn nur solche den Würfel entgegennehmen dürften, die innerhalb Frankens geographischer Grenzen auf die Welt gekommen sind – Grenzen, die über die Jahrhunderte hinweg ja ohnehin ebenso wendig waren wie die Menschen, die diesen besonderen Landstrich bevölkern.
Inzwischen ist Carolin Pruy-Popp längst in Oberfranken verwurzelt und mit ihrer Familie in Bad Berneck am Westrand des Fichtelgebirges zu Hause. Gleichwohl ist der Oberpfälzer Ursprung wichtig. Vom Großvater Michael, einem freiberuflichen Musiklehrer, erlernte sie die ersten Instrumente, überhaupt spielte Musik in der Familie immer eine große Rolle, und als Geigerin in der Schnaittenbacher Stubnmusi hat sie schon früh erfahren, wie wichtig das Sammeln, Aufzeichnen und Veröffentlichen ist, um die Volksmusik zu erhalten.
Dass sie über Oberbayern, wo sie Musikpädagogik und Musikwissenschaft mit Magisterabschluss studiert hat, nach Oberfranken gefunden hat, ist ein echter Glücksfall für die Region. Zum einen müssten wir sonst heute auf eine sympathische Preisträgerin verzichten, zum anderen würde der Einfluss fehlen, den sie durch ihre Arbeit auf die Pflege fränkischer Kultur und Heimat zweifellos ausgeübt hat.
Wer sich in Oberfranken etwas eingehender mit dem Thema Volksmusik beschäftigt, wird über kurz oder lang mit Carolin Pruy-Popp zusammentreffen. Seit 2005 leitet sie die Beratungsstelle für Volksmusik in Franken, eine von fünf, die der Landesverein für Heimatpflege über den Freistaat verteilt eingerichtet hat. Singcafé, Tanzwerkstatt, Konzertinaschule, Fortbildungen, Volksmusik-Intensivtage mit über 100 Teilnehmern – nur ein kleiner Ausschnitt der vielfältigen Aktivitäten, die sie von Bad Berneck aus mit Lust und ansteckender Laune organisiert.
Musik ist ihr Steckenpferd, ihre Liebhaberei, ihr Beruf und ihre Berufung. Sie wirkt daran mit, dass durch die alten und die neuen Lieder und Musikstücke Charakter und Tradition unserer Region hörbar und erlebbar bleiben. Heimat ist wieder in, Bräuche und Traditionen werden neu entdeckt, Regionalität wird trotz oder gerade wegen einer zunehmend global geprägten Lebenswirklichkeit gepflegt. Musik kennt keine Berührungsängste, schließt keinen aus und hat damit Bedeutung für Zusammenhalt und Miteinander in unserer Gesellschaft.
Volksmusik – langweilig, verstaubt, überholt, nur etwas für die Alten? Überhaupt nicht, wenn die Musik von Carolin Pruy-Popp zum Volk gebracht wird. Mit ihrem Schwung und Charme und Witz bringt sie beim gemeinsamen Singen, Tanzen und Musizieren eine Saite der Seele zum Schwingen, welche die Jungen zuvor vielleicht noch nie entdeckt und die Alten womöglich längst wieder vergessen haben.
Nirgends kommt sie ihren fränkischen Landsleuten näher als beim Wirtshaussingen. Früher war es gang und gäbe, dass sich bei den Wirtshaushockern zu vorgerückter Stunde spontan die Zunge zum Gesang lockerte und auf diese Weise eine ganz eigene musikalische Kultur entstand. Diese lässt Frau Pruy-Popp zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen der Musik- und Heimatpflege seit einigen Jahren wiederaufleben. Und das mit riesigem Erfolg! Selbst junge Leute, die man vielleicht eher in der Disco erwarten würde, werden neugierig und finden den Weg.
Mit einer ordentlichen Portion Durchsetzungsvermögen bekommt sie den großen Wirtshauschor schnell in den Griff. Ein gespielt ernster Blick bringt auch die letzten Schwätzer zum Schweigen. Geschickt würzt sie den Abend mit allerlei Geschichten, Anekdoten und Informationen über die Herkunft der Lieder – Heimatunterricht vom
Feinsten, mit Spaß und Freude. Mit ihrer mitreißenden Art zieht sie bald alle auf ihre Seite, scherzt sich durch den Abend und entlässt schließlich ein begeistertes Publikum in die Nacht verbunden mit der Hoffnung, dass die Menschen jetzt wieder öfter singen, nicht nur im Wirtshaus, sondern auch zu Hause, vielleicht sogar im Gesangverein.
Wegen Corona war der Spaß dann aber erst einmal vorbei. Wirtshäuser geschlossen, Seminare gestrichen, Veranstaltungen abgesagt, was nun? Wendig, wie eine gewürfelte Fränkin nun einmal ist, verlagerte sie die Kulturvermittlung kurzerhand ins Internet und wurde zur YouTuberin, um die Leute bei der Stange zu halten.
Mit ihren Videoclips über Musik, Tanz und Singen hat sie die Menschen motiviert, trotz Lockdown und Kontaktbeschränkungen musikalisch aktiv zu bleiben. In einem informativen Internetblog porträtierte sie regionale Musikgruppen und Urgesteine der oberfränkischen Volksmusikszene und küsste mit Bildern und Geschichten von früher manche Erinnerung wach. So hilfreich das Medium in dieser außergewöhnlichen Zeit auch war, ist sie doch heilfroh, dass sie die Menschen jetzt wieder persönlich von Angesicht zu Angesicht bei ihren Veranstaltungen und Fortbildungen begrüßen darf. Die Sehnsucht, Kultur endlich wieder live und „in echt“ zu genießen, ist enorm.
Wendig, witzig und widersprüchlich ist der gewürfelte Franke, so hat es Hans Max von Aufsess beschrieben – das gilt natürlich ebenso für die gewürfelte Fränkin. Alle drei Eigenschaften zeichnen Carolin Pruy-Popp aus: Grad heraus, ohne Umschweife, man weiß gleich, woran man bei ihr ist, sie ist neugierig und interessiert an allem und jedem und geht gerne auf andere zu. Anders als mit Anpassungsfähigkeit, Witz und Vorwitz könnte sie ihren abwechslungsreichen Beruf auch gar nicht ausüben.
Scheinbar ganz im Widerspruch dazu steht ihre Passion, ganz zurückgezogen und in aller Stille Kunst und Design mit ihren eigenen Händen zu schaffen, zu formen und zu gestalten. Aber gerade dabei und natürlich im Kreis ihrer Familie tankt sie die Kraft für das quirlige Leben in der fränkischen Öffentlichkeit.
Liebe Frau Pruy-Popp,
dem Frankenwürfel sind Sie schon einmal ganz nahe gewesen, als Sie 2009 in Kleinlosnitz mit Boxgalopp durch die Verleihungsfeier gefiedelt und gesungen haben. Dass Sie den Würfel einmal selbst in Empfang nehmen würden, haben Sie damals wahrscheinlich nicht geahnt.
Wenn Sie denn überhaupt jemals Zweifel an Ihrer Eignung hatten, dann sollten Sie diese allerspätestens heute, wenn wir Ihnen das Zeichen des typischen Franken anvertrauen, endgültig fahren lassen. Sie sind eine wunderbare Gewürfelte. Herzlich willkommen und herzlichen Glückwunsch.
HEIDRUN PIWERNETZ
Regierungspräsidentin von Oberfranken