Zum Inhalt springen

Annemarie Leutzsch – Hummeltal (Oberfranken)

Auszeichnung: 1993 – Iphofen

Laudatio

»Sich wenden, sich drehen, im Leben bestehen « – das ist Lebenstüchtigkeit auf fränkische Art:

  • Weder auf den Kopf noch aufs Maul gefallen; man nimmt’s wie’s kommt und wird schon irgendwie damit fertig.
  • faustdick hinter den Ohren, aber im Grund fleißig, menschenfreundlich und bescheiden.
  • dabei immer für überraschungen gut und so leicht in keine Schublade einzuordnen.

Solche Menschen gibts bei uns gottlob viele – und doch glitzern an unserem fränkischen Himmel immer wieder ein paar Sternla besonders hell. Eines davon haben wir, ohne lang zu suchen, mit bloßem Auge ausgemacht. Es ist Frau Annemarie Leutzsch, vulgo: »Die Rettl ausm Hummelgau«.Der Hummelgau, altes bäuerliches Kulturland im Süden von Bayreuth, ist eine der wichtigsten Traditionsinseln in Oberfranken, und die »Rettl« ist seine Botschafterin. Seit gut drei Jahrzehnten bezeugt sie mit Mundartgedichten und -geschichten, sei es in Rockenstuben, Wirtshäusern, Festzelten oder auch schon mal in der Stadthalle, sei es literarisch mit gespitzter Feder, wie die Menschen in ihrer Heimat so leben und denken. Rundfunk und Fernsehen haben ihre Auftritte – immer in der prächtigen originalen Hummeltracht – mehr oder weniger in ganz Franken bekannt gemacht.

Frau Leutzsch beschäftigt sich intensiv mit der Heimatgeschichte, dem Brauchtum und der Sprache im Hummelgau. Ihre Forschungen und Aufzeichnungen werden auch von Universitätsprofessoren geschätzt und genutzt. Es geht die Sage, dass sie nicht weniger als dreizehn Aussprachevariationen des fränkischen praelabialen »L« zu unterscheiden wisse. Da verbietet einem schiere Ehrfurcht, in ihrem Beisein aus ihren Werken rezitieren zu wollen – vielleicht macht sie uns diese Freude nachher selbst.

In dem auf das Jahr 1431 zurückgehenden elterlichen Hof, den sie mit ihrem Mann bewohnt, hat Frau Leutzsch mit ebenso kundig wie liebevoll zusammengetragenem »alt’n G’raffl« eine bemerkenswerte Hummelstube eingerichtet. Vor Kurzem hat sie dazu noch einen kleinen Kolonialwarenladen aus vergangenen Tagen aufgebaut und so eine einstmals wichtige Dorfinstitution vor dem Vergessenwerden bewahrt. Ihre Führungen haben nicht nur museumspädagogischen Erlebniswert. Man kann sie nicht beschreiben, man muss sie erleben!

Ihr liebstes volkskundliches Forschungsobjekt ist wohl ihr Mann, der »Gerch«. Als grobbehauenes fränkisches Urgestein stellt sie ihn vor uns hin, gleich einem fränkischen Christus stellvertretend für die ganze Gattung »Moo«, beladen mit all ihren Sünden und Schwächen. In Wirklichkeit heißt der »Gerch« Rudolf, ist ein durchaus feinsinniger Mensch und stammt offensichtlich von etwas nördlich der weißblauen Grenzpfähle. Die Tochter ist gar nach Australien verheiratet. Dorthin heben die Leutzsch’s von Zeit zu Zeit ab, mit dem Jet und vermutlich ohne Hummeltracht. Wieder daheim, tut die Rettl dann gleich wieder so, als wär sie über Bayreuth, G’sees und Hollfeld ihr Lebtag lang net nauskumma.

Da sieht man, zu was sie imstand ist.
Ja, die Rettl ist g’würfelt!

Dr. ERICH HANIEL
Regierungspräsident von Oberfranken